Jonathan mit seiner Leibspeise: Fischbrötchen

Schappschuss, er auf seiner Laterene im Sasnitzer Hafen

Alles Möwenschiet, oder warum Jonathan kein Eis mag

Mittagszeit am Hafen von Sassnitz. Jonathan betrachtet gelangweilt von seinem Laternenmast sein heutiges Publikum. Die Jungmöwen rotten sich zusammen, besprechen lautstark ihre neue Angriffsstrategie. Noch immer haben sie keine Beute gemacht. Ihre Mütter schauen demonstrativ Richtung Meer. Dieser Jahrgang konnte noch nicht viel Erfahrungen mit den Futterträgern machen. Bis zum Frühsommer waren Menschen selten am Hafen. Die Jungen mussten erstmal lernen, dass die Futterträger nicht direkt angeflogen werden sollten, sondern in einem eleganten Halbkreis. Es bringt nichts auf einer Glatze zu landen, der Untergrund bewegt sich zu hektisch. Und wenn man in der perfekt gestylten Frisur landet, dann kommt noch unangenehmes schrilles Geschrei und zwei krabbenartige Gebilde mit fünf Tentakeln ins Spiel. Keine Ahnung warum die Menschen es hassen, wenn Möwen auf ihren Köpfen landen. Die Futterträger tragen das Picknick schön brav vor sich hin und nicht oben auf ihren Köpfen. Auch Jonathan, hat schon den ein oder anderen Hut als Happen lokalisiert, getauscht und gemerkt das er übervorteilt wurde. Das Jungvolk verschreckt die Futterträger. In einer Rotte einen Futterträger anzufliegen erregt Aufsehen und die Leute halten heute SEIN Mittag nahe am Körper. Pommes, Bratwurst oder Fischbrötchen, heute kann er nicht einscheiden, sondern muss auf eine Gelegenheit warten, bis jemand unvorsichtig wird.

Fast wäre er in die Innenstadt ausgewichen, als er eine junge Frau bemerkt. Sie ist abgelenkt von ihrer Brut. Sie beugt sich zu einem ihrer Jungen und hält etwas weißes Rundes in einer nach unten spitz zulaufenden Tüte in ihrer Hand. Das runde Weiße ist nun der höchste Punkt, Jonathan nutzt die Gelegenheit, bevor einer seiner Artgenossen es auch bemerkt, wie leicht es ist an dieses Futter zu kommen. Noch hat er keine Ahnung, was es sein könnte, wahrscheinlich Pommes mit Mayo, denkt er sich im Anflug. Geräuschlos nähert er sich von hinten, er muss nur kleine Korrekturen machen, kommt perfekt auf sein Mittag zu. Ohne abzubremsen, treffen sich sein weit aufgerissener Schnabel und das weiße Etwas. Der Schnabel umschließt die Kugel und noch schnell präzise hinterlässt er auf der Schulter der Frau auch etwas warmes dünnflüssiges Weißes. Geschäft ist Geschäft.

Während die Frau entgeistert auf ihre leere Waffel mit einem deutlichen negativen Schnabelabdruck von Jonathan schaut und noch nicht realisiert hat, dass sie schnellstmöglich ihre Bluse wechseln sollte, spürt Jonathan im Landeanflug auf seinen Stammplatz, dass etwas nicht stimmt. Sein Schnabel und Kopf scheinen wie erfroren zu sein. Sein Gehirn durchzucken kleine schmerzhafte Blitze, die er sogar sehen kann. Was ist los mit ihm? Egal erstmal schlucken und dann gucken, so wurde es immer in seiner Sippe gemacht. Also runter mit dem Zeug. Wie in Zeitlupe bewegt sich die weiße Kugel von seinem Schnabel durch den Hals in den Magen. Man kann ihren Weg genau verfolgen. Jonathan spürt eine Eiseskälte da wo das runde weiße langsam seinen Hals passiert. Es hinterlässt ein taubes Gefühl und der Magen fühlt sich an, als ob er einen Betonklotz geschluckt hat, kalt und schwer. Fast wäre er von der Laterne gefallen. Er schüttelt seinen Kopf, seine Federn spreizen sich vom Körper. Er braucht eine gefühlte Ewigkeit, um wieder seine Sinne zu ordnen. Sein Magen fühlt sich voll und schwer an, aber gleichzeitig leer. Er ärgert sich einen so schlechten Tausch gemacht zu haben, noch nie hatte er das Gefühl, dass die Futterträger verdorbene Nahrung rumtragen, aber die Frau hatte eindeutig ungenießbares Futter. Während Jonathan denkt, um sein Leben zu kämpfen, bemerkt eines der Jungtiere des Futterträgers seine Hinterlassenschaft auf der Schulter seiner Mutter. Und deutet mit dem Finger auf dieses Malheur. Seine Mutter blickt auf ihre Schulter und zischt angeekelt: „Igitt. Was für ein Möwenschiet.“ Und wirft die leere Eiswaffel ins Hafenbecken. Einige von Jonathan Artgenossen haben den Vorgang beobachtet und stürzen sich auf die durchweichte Waffel.

An seinem geistigen Auge sieht er sein glorreiches Leben vorbeiziehen, hat Netzteile und halbe Schuhsohlen verspeist, aber das Zeug, weiß, kalt und süß, ist nicht genießbar. Mit Mühe schafft er es in sein Nachtquartier und legt seinen Kopf zwischen seinen Flügel und scheißt die ganze kommende Nacht die Fensterbank voll.

Autor: Sandra Peters

Bild: efg – Eggebrechts feine Gestaltung

Namesgeber unserer Möwe: Jörg Stoltenberg

Nachtrag: Der Name ist inspiriert vom Rügenpodcast Möwenschiet.

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