Wie Tore fast Ostern verhinderte oder wie Kurzhaar und die Hasenbande Ostern retteten

Es ist April und unser Seehasenpärchen Birke und Tore zieht es wieder in die Gewässer vor Rügen. Sie besuchen ihre Nachkommenschaft aus dem letzten Jahr und erfreuen sich, dass diese sich prächtig entwickelt haben und nun ihrerseits auf Brautschau gehen. Birke verbringt einige Tage bei ihren erwachsenen Kindern, während Tore sich auf die Suche nach einem geeigneten Platz für ihr Nest begibt. Diesmal will er alles richtig machen und schwimmt weit die Küsten entlang, um den perfekten Platz zu finden. Sehr kritisch prüft er jeden möglichen Platz und erst kurz vor Usedom wird er fündig. Hier gibt es eine ständige Strömung, Sand und helle leichte Steine. Diese türmt er zu einem kleinen Wall, sodass durch die Lücken zwischen den Steinen eine schwache regelmäßige Strömung über das Sandbett fließt. Mit den Flossen wedelt er noch eine Kuhle in den Sand und nach einer kritischen Begutachtung macht er sich zurück zu Birke und seinen Kindern. Birke würde gern noch ihre erwachsenen Kinder weiter bemuttern, doch diese drängen Tore zum Aufbruch um Birke ihr neues Heim zu zeigen.

Tore ist sehr aufgeregt und umkreist Birke auf dem gesamten Weg zum neuem Nest. Teilweise springt er sogar aus dem Wasser. Sie erreichen das neue Nest zu Sonnenuntergang und die Sonnenstrahlen und Wellen lassen das Wasser tanzen. Vor ihnen erstrahlt etwas in sanften gelben, hell- und dunkelbrauen Tönen. So was Schönes haben die beiden noch nicht gesehen und starren gebannt auf das Schauspiel. Mit dem Sinken der Sonne verblasst der Glanz langsam und Tore erkennt, dass sie sich seine Mauer um das Nest angesehen haben. Birke ist entzückt von diesen Steinen, die im Sonnenlicht leuchten und begutachtet kritisch das Werk von Tore. Sie möchte nicht wieder fast ihr ganzes Gelege, wie im letzten Jahr verlieren. Tore umschwimmt mit zitternden Flossen ihr Nest und als sich Birke in ihrem Hochzeitsgewand zeigt, tanzen sie ihren Hochzeitstanz im Mondschein. Tore hat ein perfektes Nest gebaut. Birke und ihre Eier sind sicher untergebracht. Durch die hellen leicht durchsichtigen Steine schimmert Birke je nach Sonnenwinkel in verschiedenen Farben, was ihr sehr gefällt. Auch ihre Fischeier färben sich im Nest zu allen Farben des Regenbogens. Diesmal verlieren sie keins ihrer Eier durch die Strömung. Tore hat den Platz des Geheges so gut gewählt, dass beide Nachts auf Futtersuche gehen können und keiner auf die kleinen Eier aufpassen muss.

An den Ufern Rügen wiederholt sich die Geschichte, wie im letzten Jahr. Die Hasen haben auch Nachwuchs und bereiten ihre kleinen Langohren auf ihre Aufgabe als Osterhasen vor. Nur auf Usedom ist es anders. Es werden keine bunten Seehaseneier an die Bernsteinküste gespült. Die Osterhasen sind verwirrt, etwas stimmt nicht. Unruhig sitzen sie schon seit Tagen am Ufer und warten auf die Seehaseneier. Einige der jungen Hasen aus dem letzten Rüganer Wurf sind an den Küsten weitergezogen, um eine eigene Familie zu gründen. Die beiden Brüder Graufell und Kurzhaar hat es nach Usedom verschlagen. Wie alle anderen Osterhasen warten sie nun seit Tagen auf die Seehaseneier. Sie halten die Nase in den Wind, klettern auf den Rücken des anderen, um über das Meer hinaus Ausschau zu halten. Nichts, keine Seehaseneier in Sicht. Nur ein helles Leuchten vom Grund der Ostsee. Die alten Osterhasen beratschlagen sich, was dies zu bedeuten habe. Keiner kann sich je erinnern, dass es jemals zum Ausbleiben der Seehaseneier gekommen ist. Ratlos sind die Ältesten. Die jungen Spunde, wild auf ihren ersten Einsatz als Osterhasen, schlagen vor, man solle doch nachsehen, was das Leuchten auf dem Meeresgrund zu bedeuten habe. Vielleicht wäre es der Grund für das Ausbleiben der Seehaseneier. Die Rüganer Hasen können schwimmen und bringen es den Usedomern am nächsten Tag bei. Zum Abend schwimmen sie hinaus, dem Leuchten folgend, an der Stelle angekommen, tauchen sie die Köpfe ins Wasser, um zu sehen, was auf dem Grund los ist. Ein mit Bernsteinen gebautes Seehasennest voller kleiner bunter Seehaseneier erblicken sie. Die Bernsteine schützen das Seehasengelege perfekt vor der Strömung und sorgen gleichzeitig dafür, dass genügend Licht die Seehaseneier erreicht, damit diese in den buntesten Farben leuchten. Kurzhaar versucht zum Nest hinabzutauchen. Es glückt ihm nicht, obwohl er das kürzeste Fell aller Hoppler hat. Der Auftrieb ist zu groß, sodass er nicht bis zum Nest von Birke und Tore gelangt. Die Rasselbande schwimmt ans Ufer zurück und berichtet den wartenden Rammlern das Gesehene. Ihnen wird klar, Ostern fällt aus. Ohne die Seehaseneier, die ans Ufer gespült werden, können sie keine Ostereier verstecken. Eine tiefe Ratlosigkeit überkommt die Mümmelmänner.

Am nächsten Tag tapsen Graufell und Kurzhaar am Strand entlang und schauen einigen übereifrigen Junghasen zu, wie sie versuchen, Eier aus den Nestern der Möwen zu klauen. Dabei machen sie mit deren spitzen Schnäbeln Bekanntschaft. Traurig schaut Kurzhaar in die Wolken und hat eine Idee. Geschwind eilt er zu den Ältesten und unterbreitet ihnen seinen Plan. Fast zwei Tage brauchen die Hasen, um den Plan umzusetzen. In der folgenden Nacht schwimmen die kräftigsten Langohren mit Kurzhaar hinaus auf die Ostsee. In ihrer Mitte treibt ein Floss aus Schliff und darauf haben sie mächtige Feuersteine gestapelt. Die meisten sind faustgroß. Über dem Leuchten am Seegrund angelangt, halten sechs das Floss gegen die leichte Strömung auf Postion, drei tauchen immer wieder ihre Köpfe unter Wasser, um die Lage zu erkunden. Kurzhaar macht sich bereit für seinen Einsatz. Er dirigiert das Floss in die richtige Postion und holt ganz tief Luft, bevor er sich mit einem der größten Feuersteine in seinen Pfoten in die Tiefe hinabsinken lässt. Ein leises Raunen ist von den anderen Langohren zu hören, als seine Luftblasen auf der Wasseroberfläche zerplatzen. Es passiert eine gefühlte Ewigkeit nichts. Schon wähnt man Kurzhaar verloren, als er etwas abseits aus den Fluten nach Luft ringend auftaucht. Langsam schwimmt er zum Floss, klammert sich daran, um sich etwas auszuruhen. Die anderen sehen sich um und nichts als ein Leuchten vom Meeresgrund, die dunkle See und der Sternenhimmel umgibt sie. Einige erklären die Aktion als gescheitert und wollen wieder ans Ufer schwimmen. Doch Kurzhaar schnappt sich einen weiteren Stein und versinkt in die Tiefe. Er hält die Luft an, wartet, bis er auf dem Meeresgrund angelangt ist. Diesmal ist er näher am Seehasennest und braucht nur zwei kurze Hasensprünge, um sich am Rande des Nestes des Ballastes zu entledigen. Fix greift er sich einige bunten Seehaseneier, um diese auf dem Weg nach oben in die Strömung zu entlassen. Völlig erschöpft tauchen zuerst seine langen Ohren aus der Flut auf. Einer der Wachposten entdeckt ihn und zieht den völlig entkräfteten Kurzhaar auf das Floss. Schon murren die anderen und wähnen die Mission für gescheitert, als um sie herum ein Seehasenei nach dem anderen an der Wasseroberfläche auftaucht. Angespornt vom Erfolg Kurzhaars folgen zwei der Wächter seinem Beispiel und tauchen mit den Feuersteinen als Ballast zum Gelege von Tore und Birke. Abwechselnd zu zweit tauchen die Hasen bis zum Morgengrauen und holen fast die Hälfte von den Seehaseneiern an die Oberfläche. Die Strömung lässt diese an den Strand gleiten und dort werden sie freudig von der Rasselbande erwartet und schnell vergraben, bevor die Möwen das Spektakel mitkriegen. Ostern ist gerettet. Am Ostersonntag werden aus den bunten noch transparenten Seehaseneiern wieder feste bunte Ostereier geworden sein, die die Rasselbande dann zur Freude der Menschenkinder überall versteckt.

Autor: Sandra Peters

Seehaseninfos unter:

Der Seehase (Cyclopterus lumpus), auch Lump, Lumpfisch, Lump-Fisch, ist ein plumper Bodenfisch aus der gleichnamigen Familie der Seehasen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Seehase_(Fisch)

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/sonstige-arten/fische/24380.html

https://www.kindernetz.de/wissen/tierlexikon/steckbrief-seehase-100.html

Stand 05.04.2022